Die Tücken des Kohlenstoff-Kreislaufs

Da das Kyoto-Protokoll von 1997 nicht nur eine Begrenzung von CO2-Emissionen an der Quelle fordert, sondern auch die Anrechnung von C-Senken erlaubt, setzt es ein hinreichendes Verständnis des C-Kreislaufs voraus. Doch davon sind wir weit entfernt.

Nach der heute gängigen Vorstellung lag die Gleichgewichtskonzentration von CO2 in der Atmosphäre um 1850 bei 280 ppm. Bis zum Jahre 2001 stieg die auf dem Vulkan Mauna Loa auf Hawaii gemessene Konzentration auf 370 ppm an. Der in 150 Jahren akkumulierte CO2-Überschuss geht höchstwahrscheinlich zum größten Teil auf die Verbrennung fossiler Energieträger und auf Waldrodungen und nur zum geringeren Teil auf die Freisetzung von CO2 aus den Ozeanen zurück. So weit scheinen sich die mit Klimafragen befassten Naturwissenschaftler einig zu sein. Anlass zu Streit geben aber die Fragen, was das überschüssige CO2 bewirkt und was damit kurz- und mittelfristig geschieht.

Der von der World Meteorological Organization (WMO) und vom UN-Umweltprogramm (UNEP) eingesetzte Welt-Klimarat Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) nimmt in seinen Warnungen vor einer drohenden Überhitzung unseres Planeten implizit eine mittlere Verweildauer des CO2 in der Atmosphäre von etwa 570 Jahren an und schätzt auf dieser Basis den möglichen Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur bis zum Ende dieses Jahrhunderts auf bis zu 5,8 Grad Celsius. Schon im Herbst 2001 hatte der britische Chemiker Jack Barrett auf einem von der DECHEMA Gesellschaft für Chemische Technik und Biotechnologie in Frankfurt am Main veranstalteten Kolloquium darauf hingewiesen, aus dem Abklingen des 14C-Peaks nach der Einstellung oberirdischer Kernwaffenversuche nach dem Teststopp-Abkommen von 1962 lasse sich eine CO2-„Halbwertszeit“ von weniger als 40 Jahren errechnen.

In der Zwischenzeit hat der im (Un)ruhestand lebende Elektroingenieur und Hobby-Klimaforscher Peter Dietze als offizieller Reviewer des IPCC ein einfaches „Wasserkastenmodell“ der globalen C-Flüsse durchgerechnet. Mithilfe einer Regressionsanalyse der in der Nachkriegszeit gemessenen CO2-Werte gelangt er dabei zu einer 1/e-Lebensdauer der CO2-Überschüsse von 55 Jahren beziehungsweise einer „Halbwertszeit“ von 38 Jahren. Auf dieser Basis sei bis zum Jahrhundertende mit einer globalen Erwärmung von lediglich 0,52 °C zu rechnen.

Am 6. März gab die DECHEMA Dietze nun die Gelegenheit, seinen Ansatz mit den Auffassungen einer Reihe international anerkannter Klima-Forscher zu konfrontieren. Auf generelle Skepsis stieß die von Dietze vorgenommene Zusammenfassung der sehr unterschiedlichen Verweilzeiten des Kohlenstoffs in verschiedenen Kompartimenten der Biosphäre zu einer einzigen Zeitkonstanten analog zur Parallelschaltung elektrischer Widerstände und Kapazitäten. Der Botaniker Prof. Dr. Ernst-Detlef Schulze, Direktor des Max-Planck-Instituts (MPI) für Biogeochemie in Jena, forderte, neben der Parallelschaltung müsse auch die Reihenschaltung von C-Quellen und Senken berücksichtigt werden, was das Modell komplizierter mache und die theoretische Verweildauer des Kohlenstoffs in der Biosphäre ansteigen lasse. Dietze verwies demgegenüber auf die gute Übereinstimmung seiner Berechnung mit dem in den letzten 27 Jahren gemessenen durchschnittlichen CO2-Anstieg um etwa 1,5 ppm im Jahr. Danach würde im Jahre 2075 eine Maximalkonzentration von 470 ppm erreicht. Eine Simulation auf der Basis der IPCC-Parameter führe demgegenüber zu einem progressiven CO2-Anstieg von jährlich etwa 2,6 ppm und schon die gegenwärtig messbare CO2-Konzentration würde um 12 ppm überschritten.

Aber auch Prof. Schulze ist mit dem Kyoto-Protokoll nicht glücklich, obwohl er es grundsätzlich als einen ersten Schritt in Richtung auf eine „planmäßige Gestaltung globaler Stoffkreisläufe“ befürwortet. Die in dem Abkommen erstmals eingeräumte Möglichkeit, an Stelle der Emissionsreduktion biologische C-Senken durch Aufforstung neu zu schaffen, sei eine kaum verhohlene Einladung zum Missbrauch. Es sei versäumt worden, klar zu definieren, was überhaupt als C-Senke anerkannt werden kann. Zum Beispiel werden Flächen von 500 Hektar, die zu zehn Prozent vom Kronendach von Bäumen bedeckt sind, schon als Wälder gezählt. Da die Anrechnungsperiode erst 2008 beginnt, sind bis dahin noch großflächige Rodungen von Primärwäldern möglich. Dabei wird viel Kohlenstoff durch Humusabbau freigesetzt. Werden gerodete Flächen für den humuszehrenden Kartoffelanbau genützt, entstehen weitere C-Verluste. Auch beim Weizenanbau sei die C-Bilanz negativ, betont Schulze. Und bei der oft gepriesenen energetischen Nutzung landwirtschaftlich erzeugter Biomasse sei auch nicht viel zu gewinnen. Bei der Erzeugung von Rapsöl zum Beispiel gehe der anfängliche Gewinn größtenteils wieder durch die notwendige Methylierung verloren.

Andererseits würden nachhaltig bewirtschaftete Wälder in den gemäßigten Zonen nicht als Senken anerkannt, obwohl die Annahme, nicht bewirtschaftete Wälder seien bessere C-Senken, nachweislich falsch sei. Schulze bezieht sich dabei auf den Modellwald Hainich in Thüringen, in dem mithilfe eines Messnetzes die jährliche Fixierung von sechs Tonnen Kohlenstoff je Hektar nachgewiesen wurde. Im B-Horizont des Waldbodens (Mineralboden) kann Kohlenstoff übrigens bis zu 6.000 Jahre gespeichert werden, wobei sich langkettige Lipide (Wachse) und nicht etwa Lignin am langlebigsten erweisen.

Wie Prof. Dr. Wolfgang Cramer vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung in Frankfurt darlegte, beträgt die gesamte jährliche Aufnahme von Kohlenstoff durch die Landpflanzen etwa 60 Gigatonnen (Nettoprimärproduktivität). Die nach Abzug der Atmung verbleibende Nettoökosystemproduktivität beträgt aber nur ein Zehntel davon. Noch geringer ist mit 1 bis 2 Gt/a die Nettobiomproduktivität, die Ernte-Entnahmen und Schädlingsfraß Rechnung trägt. Diese Schätzungen stimmen durchaus mit dem Modell Dietzes überein.

Schwieriger ist die Abschätzung der Auswirkungen historischer und aktueller Landnutzungsänderungen. Cramer geht davon aus, dass durch die historischen Entwaldungen insgesamt 180 bis 200 Gigatonnen Kohlenstoff freigesetzt wurden. Zwischen 1920 und 1958 sei auch die Landwirtschaft unterm Strich eine C-Quelle gewesen; seither sei sie aber eine schwache C-Senke. Nach dem einfachen CLIMBER-Modell verstärken aktuelle Entwaldungen in den Tropen die globale Erwärmung, während Abholzungen in der borealen Klimazone zur lokalen Abkühlung führen. Sehr viel aufwändiger ist das LPJ-Modell, an dem das Potsdam-Institut und das Jenaer MPI gemeinsam arbeiten. Es trägt Ereignissen wie dem Pinatubo-Ausbruch und der Stimulierung des Pflanzenwachstums durch zusätzliches CO2 Rechnung, erlaubt aber bis heute kaum Aussagen über konkrete Auswirkungen von Landnutzungsänderungen. Möglicherweise sei aber die Forst- und Landwirtschaftspolitik für den Kohlenstoffhaushalt in Zukunft wichtiger als die Energiepolitik, deutete Cramer an.

Auf Widerspruch stieß Dietzes Annahme, der atmosphärische Anteil (die „airborne fraction“) der globalen CO2-Vorräte müsse in der Nachkriegszeit zugunsten des in den Ozeanen gelösten Teils abgenommen haben, da der gemessene CO2-Anstieg hinter den stark ansteigenden Emissionen zurück bleibe. Dr. Martin Heimann vom Jenaer MPI, ein Schüler der inzwischen verstorbenen Berner Pioniere der globalen C-Kreislauf-Forschung, Oeschger und Siegenthaler, glaubt anhand von Messwerten demonstrieren zu können, dass unverändert etwa 40 Prozent des durch menschliche Aktivitäten freigesetzten CO2 in der Atmosphäre landen, während insgesamt 60 Prozent von den Ozeanen und der Landbiosphäre aufgenommen werden. Die gleichzeitig mit der Zunahme des Gesamtkohlenstoff-Gehaltes der Ozeane registrierte leichte Abnahme des Sauerstoff-Gehaltes der Atmosphäre zeige, dass die Verbrennung fossiler Vorräte die Hauptquelle des globalen CO2-Anstiegs sei. Da die am Südpol gemessenen CO2-Zuwächse der Mauna-Loa-Kurve etwas nachhinken, stehe überdies außer Frage, dass die stärker industrialisierte und urbanisierte Nordhemisphäre die Hauptquelle der CO2-Emissionen ist. Da es im Ozean keinen Düngeeffekt des CO2 gebe, müsse man wegen der Nichtlinearität der Karbonatchemie überdies mit einer Verringerung der Senkenkapazität der Ozeane rechnen.

Ein Sinken der Pufferkapazität der Ozeane befürchtet auch der schottische Ozeanograph Douglas W.R. Wallace, der jetzt am Kieler Institut für Meereskunde arbeitet. „Don’t forget the importance of chemistry!“, warnte er. Insbesondere könnten Organismen mit Kalkschalen Probleme mit einem sinkenden pH bekommen. Möglicherweise könne die Kohlensäure aber auch durch unterseeische Vulkanausbrüche und große Kalkstein-Vorkommen neutralisiert werden. Fazit: Nichts Genaues weiß man nicht.

Etwas präzisere Angaben über das CO2-Absorptionsvermögen der Ozeane versuchte die Heidelberger Physikerin Dr. Ingeborg Levin, eine Spezialistin für Radiocarbon-Messungen, zu machen. Ihre eigenen in Zusammenarbeit mit Vago Hesshaimer und Martin Heimann durchgeführten Berechnungen auf der Basis des rasch abgeklungenen 14C-Peaks aus den Kernwaffen-Versuchen, die 1994 in „nature“ veröffentlicht wurden, sowie eine im vergangenen Jahr abgeschlossene neue 14C-Inventur der Ozeane von Peacock und Mitarbeitern legten eine Korrektur der 1995 von Wallace S. Broecker und Kollegen veröffentlichten Schätzung der CO2-Aufnahmerate der Ozeane um 25 Prozent nach unten nahe. Jedenfalls sei die Hoffnung, die Meere könnten den menschengemachten CO2-Überschuss aufnehmen, unbegründet. An der Umsetzung des Kyoto-Protokolls führe kein Weg vorbei. Im Übrigen könnten die von ihrem Institut durchgeführten Radiocarbon-Messungen den Suess-Effekt (die Verdünnung des natürlichen 14C-Gehalts der Atmosphäre durch 14C-freies CO2 fossilen Ursprungs) nutzen, um die Umsetzung des Kyoto-Protokolls auf regionaler Ebene zu kontrollieren.

Demgegenüber fragte Peter Dietze, ob dem Suess-Effekt wirklich eine so große Beweiskraft zukommt, wenn man davon ausgehe, dass nicht 30, sondern allenfalls 5 Prozent des CO2-Gehalts der Atmosphäre menschlichen Ursprungs sind. Sollte die von Dietze vorgestellte Modellrechnung realistisch sein, wäre das Kyoto-Protokoll überflüssig. Denn die von ihm geschätzte globale Erwärmung um ein halbes Grad (und höchstwahrscheinlich auch noch einiges mehr) wäre nicht nur ohne weiteres von der Biosphäre verkraftbar, sondern könnte sich in nördlichen Breiten sogar als Segen für die Landwirtschaft erweisen. Welche Seite hier wieweit recht hat, ist selbst für ein Fachpublikum kaum auszumachen.

Edgar Gärtner

Kommentar

Die Rechnung geht nicht auf

Wie man es auch dreht und wendet: Die globale Kohlenstoffbilanz zeigt große Lücken. Wieso konnte das 14C aus dem A- und H-Bomben-Fall-out noch deutlich schneller aus der Atmosphäre verschwinden als erwartet? Warum kann die Mauna-Loa-Kurve langsamer ansteigen als die globalen CO2-Emissionen, wenn die Weltmeere weniger Kohlenstoff aufnehmen als bislang angenommen? Diese offenen Fragen zeigen, dass wir von einer wissenschaftlichen Begründbarkeit von „Klimapolitik“ so weit entfernt sind wie eh und je.

Dabei ist der Kohlenstoffkreislauf nach gängiger ökologischer Lehrmeinung ohnehin nur drittrangig. Die Entwicklung des „Erdsystems“ wird in der Hauptsache vom Wasserkreislauf bestimmt. Dieser aber ist so komplex, dass jeder, der vorgäbe, ihn im Detail analysieren und steuern zu können, sofort für verrückt erklärt würde. An zweiter Stelle folgt der Kreislauf des Sauerstoffs. Dieser rückt erst neuerdings etwas ins Blickfeld, weil festgestellt wurde, dass der O2-Gehalt der Atmosphäre sinkt. Beunruhigend ist das aber nicht. Im Gegenteil: Die Welt wird sicherer, weil dadurch die Gefahr spontaner Brände abnimmt. Zum Atmen reicht der übrig bleibende Sauerstoff allemal.

Wie ein beteiligter Forscher mit entwaffnender Offenheit erklärte, hat sich die Klimaforschung vor allem deshalb auf den drittrangigen C-Kreislauf konzentriert, weil sich CO2 im Unterschied zu Wasserdampf ziemlich gleichmäßig in der Atmosphäre verteilt und menschengemachte CO2-Emissionen das einzige Schräubchen sind, an dem man drehen zu können glaubt. Doch wird die „Klimapolitik“ zur Augenwischerei, wenn sie neben einigermaßen kalkulierbaren menschengemachten CO2-Emissionen auch auf ein Management natürlicher C-Senken abzielt. Außer Deutschland ist denn auch bislang kein Land der Welt Kyoto-Verpflichtungen in nachprüfbarer Größenordnung eingegangen. Außer dem Verschwinden bestimmter Industrien aus Deutschland und der Verwandlung des Landes in einen Vogelscheuchenpark (Verzeihung: Windpark) dürfte das Kyoto-Protokoll also nichts bewirken.

Edgar Gärtner

(veröffentlicht in: Chemische Rundschau, CH-Solothurn, Nr. 6/25. März 2003)